BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

MECHTILD BORRMANN –

Feldpost

Mechtild Borrmann beschäftigt sich, in ihren Romanen, gern mit unserer Vergangenheit, jedoch ohne den Bezug und die Gegenständlichkeiten unserer Gegenwart aus dem Blick zu verlieren. Das sie das gekonnt umsetzt, hat sie ja schon belegt. Heute. Cara Russo, Rechtsanwältin aus Kassel, will kurz vor Weihnachten noch ein paar Erledigungen machen, aber so ein kleines Päuschen in einem Café hat noch niemandem geschadet, immerhin kann man hier die Hektik mal abstreifen und sich einer Ruheposition widmen, machen viele Menschen viel zu wenig. Die Gelegenheiten dazu waren in den letzten Monaten und Jahren ja auch etwas spärlich gesät. Hier trifft Cara auf eine, ihr unbekannte Frau, die sie in ein Gespräch verwickelt und sich dann in Luft auflöst, jedoch einen Aktenkoffer hinterlässt, mit dem Gruß diesen Inhalt mal zu sichten und zu recherchieren. Eine Aufgabe, die Cara in den nächsten Tagen beschäftigen wird. Im Koffer sind Feldpostbriefe aus einer vergangenen dunklen Zeit, die eine Liebesbeziehung dokumentieren, die auf den ersten Blick, trotz Krieg, innig ist und den Frontsoldaten Richard mit seiner Freundin Adele zu verbinden scheint. Dazu Fotos, Unterlagen und einiges mehr. Im Prolog bittet Frau Borrmann um Verständnis, das ein grundlegendes Aufarbeiten in allen Details nicht wirklich möglich ist, was dem Konsum dieses Buches jedoch keinen Abbruch tut. Es ist höchst interessant, was hier alles zu tage kommt und das sollte genug Stoff zum Nachdenken sein. Vor allem, wenn man bedenkt, was in den Recherchen aufgedeckt wird. Brillant und jede Investition wert. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt ein geflügeltes Wort. Das kann man so nicht stehen lassen, denn Frau Borrmann zeigt, das diese Feststellung wohl mehr dazu dient, Dinge zu verschleiern, als sie aufzuarbeiten und die Tragik mancher Schicksale mehr verhöhnt, als sie aus einem Blickwinkel zu betrachten, der auch angemessen wäre. Etwas, das vielleicht schwer fällt, aber man versuchen sollte. Und so prallen Zeit- und Familiengeschichte aufeinander, von der Zeit der Machtübernahme von Hitlers Schergen an, bis in die heutige, oder besser, präziser, in die Zeit kurz vor Weihnachten 2000, als Cara Russo mit ihren Recherchen beginnt. Ein Drahtseiltanz, den Frau Borrmann grandios vor dem Leser ausbreitet, dem wohl öfter mal die Augenbrauen in die Höhe steigen werden. Obwohl vieles über die damalige Zeit bekannt sein sollte, sieht man sich, gerade bei den Worten Mechtild Borrmanns, immer wieder damit konfrontiert, das man eben nicht alles weiß, oder man auch einiges verdrängt, gerade auch dann, wenn es uns nicht mehr zu tangieren scheint und wir uns in Sicherheit wiegen lassen wollen, sehr zur Freude unserer Regierigen und deren Hintermänner. Damals, wie heute. Die Parallelen kann man, wenn man soweit ist, durchaus ziehen, auch wenn das Ärger bedeutet. Soweit will Mechtild Borrmann aber noch nicht gehen, sondern sich mit den Schicksalen von zwei Familien im gutbürgerlichem Umfeld im Dritten Reich auseinander setzen, deren Zeitlinien miteinander eng verflochten sind und, durch die besonderen Umstände der damaligen Zeit, an Tragik, zumindest bei der Familie Kuhn und der innigen Liebesbeziehung, die hier im Mittelpunkt steht, eine eigene Messlatte anlegen werden. Und heute noch Dinge nach sich ziehen, die dem, oben genannten, Spruch mit der Zeit zu einer Mutation einer leeren Worthülse verhelfen.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-28180 -2 296 Seiten 23,00€ (D) 23,70€ (A)

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