BUCHCOVERREZENSION
Bohnet.k Kerkerkind

KATJA BOHNET –

Kerkerkind

Deutschlands Hauptstadt stöhnt unter Temperaturen, jenseits der dreißig Plusgrade. Viktor Saizew, seines Zeichens Beamter des LKA in Berlin, entlässt sich selbst aus einem Krankenhaus der Charité, wo er nach der Entfernung eines Gehirntumors noch in der Reha war. Katja Bohnet schließt sich nahtlos dort an, wo sie im „Messertanz“ endete, oder besser, ihre Handlung unterbrach. Furios geht es ja weiter. Und, da jede Berufsgruppe bestimmte Voraussetzungen braucht, der Bauer sein Feld, der Uhrmacher die Zeitanzeiger, die Politiker ihr Volk, das sie irreführen und verarschen können, so müssen die Mordermittler auch bestimmte Rahmenbedingungen haben, damit sie aktiv ihren Broterwerb nachgehen können. Was heißt, jemand muss jemand anderem Leid angetan haben. Und Katja lässt sich hier nicht lumpen. Viktor, noch lange nicht genesen, sollte sich mehr Ruhe gönnen, aber der bärige Mann kann und will nicht stillstehen. Bei dem Fall, zu dem seine Kollegin Rosa Lopez ihn hinzuziehen möchte, sowieso nicht. In der Nähe des Wannsee wurde eine verbrannte Leiche gefunden, wie sich herausstellt eine junge, hochschwangere Frau, türkischer Abstammung. Aber… bevor. Die „Entdecker“ machen erst mal Selfie-Fotos und die stehen schon bei You-Tube drin, noch ehe irgendein Polizist den Tatort sichern konnte. Und das zieht natürlich unsere Tages- und Klatschpresse an, wie ein verendetes Tier die Geier und Krähen. Wie krank müssen denn solche Leute sein. Frau Bohnet tritt kräftig in die Pedalen und Ihr müsst Euch gut festhalten. Wenn Ihr eine Bremse suchen wollt, lasst es sein. Katja hat die entweder ausgebaut oder kennt das Wort erst gar nicht. Viktor, der unbedingt wieder arbeiten möchte, und Rosa, ebenfalls hochschwanger, wie das Opfer, sind gefordert, aber da gibt es noch so einige Dinge, die geklärt werden müssen. Wie viele Stunden Viktor abreißen darf, beispielsweise. Nur, auf dem Sektionstisch liegen zwei tote Menschen. Eine Mutter und ihr ungeborenes Kind. Ein Umstand, der dem Ermittlerduo Saizew/Lopez schwer im Magen liegt. Etwas außerhalb der Richtlinien, die das LKA und Vorgesetzte vorzeichnen möchten, zu operieren war jedoch schon immer Viktors Steckenpferd und der erste Verdächtige trabt von ganz allein an. Martin Winter. Hier hat sich Frau Bohnet etwas Besonderes ausgedacht. Der Mann kommt in die Vermisstenstelle. Und rastet völlig aus. Randaliert und geht dem Mitarbeiter an die Kehle. Ein klarer Fall für Viktor, der den heißblütigen Berserker komplett ausbremst. Nur stellt sich dann heraus… es ist der Ehemann der Getöteten und sein Opfer ist sein Schwager, deren Bruder. Für so manche vorgesetzte Stelle, die hier keine einfühlsame Ader haben, ist Viktors Aktion jedoch ein Akt von unkontrollierter Polizeigewalt. Das er einem Kollegen aus dem Würgegriff eines, bei allem Verständnis dieser Welt, völlig austickenden Menschen, befreit hat, spielt keine Geige. Unsere Schreibtischtäterin hat schon einen etwas profanen Humor. Und wenn der Vorgesetzte noch hereinschneit, sich die Kehle aus dem Hals schreit und dem Bruder noch lauthals verkündet, das seine Schwester einem Kapitalverbrechen zum Opfer fiel, ohne Kenntnis gewisser Tatsachen, dann kann es schon passieren, dass Frau Lopez und Herr Saizew sich an den Kopf fassen. Und das, kurz darauf, der Hauptverdächtige keiner mehr sein kann, passt auch nicht so recht ins Bild. Dass der sich nicht mehr am selbigen Körperteil anfassen kann, ist dem Umstand geschuldet, dass sein Kopf wird auf seinem eigenen Briefkasten gefunden wird. Und ohne Körper wird der wohl nicht mehr richtig funktionieren. Es sei den man hat einen Weg gefunden, wie David Osborn ihn gesucht hat. Ist hier aber nicht der Fall. Vieles wird jetzt vermutet, wobei die Polizeiermittlungen eher behindert werden, weil sich, sogenannte Promis, unter anderem Berlins Innensenator, eine politische Größe, einschalten und den Fall auf den „richtigen“ Weg weisen wollen. Ausländerhass steht ganz oben. Aufklärung ist eher weit unten anzusiedeln. Schön ist, dass Frau Bohnet sich gewisser Tatsachen annimmt und sie auch, ungeschönt, präsentiert. Schade ist, dass wir es immer ignorieren wollen, zumindest der größte Teil von uns, und die Arbeit von Victor Saizew und Rosa Lopez in ein Nirwana schieben wollen, wo wir damit nicht in Berührung kommen. Bis zu einem Punkt, der, viel zitiert wurde. Die eigene Unverwundbarkeit. Frau Bohnet hat da, jedoch, eine ganz andere Meinung und hat einen Tanz auf einem Vulkan entfesselt, wo sich dem Leser so manche Frage stellen wird. Katja hat ganze Arbeit geleistet und ihre Zeilen sprechen für sich.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-52093-2 332 Seiten 14,99€ (D) 15,50€ (A)

KATJA BOHNET – Messertanz – Archiv Dez. 2015
DAVID OSBORN – Tödliches Experiment – Archiv Juni 2014