BUCHCOVERREZENSION
Kinkel.t GrimmsMorde

TANJA KINKEL –

Grimms Morde

Das Lesen von Tanja Kinkels Geschichten ist immer ein Höhepunkt im Leben eines Lesers. Darauf kann man sich hundertprozentig verlassen. Das jedoch, nach einem Mord, auch wenn der schon als historisch eingestuft werden kann, oder muss, der Polizeibeamte dazu angehalten wird, sich zwecks der Spurensuche, ein Märchenbuch zu kaufen, dürfte wohl ein Fakt sein, der in den letzten zweihundert Jahren nicht mehr wirklich vorgekommen ist. Laut Tanja soll Jacob Grimm dem Oberwachtmeister Blauberg in Kassel genau diese Offerte gemacht haben, nachdem diesem die Aufklärung des Mordfalls an der ehemaligen Geliebten, Mätresse, des kürzlich verschiedenen hessischen Kurfürsten übergebügelt wurde. Und das kurz nach der Zeit, als man Napoleon Bonaparte ins Exil gezwungen und man neue Kommissionen gegründet hatte, nur zu dem Zwecke, revolutionären Ideen keine Chancen zu geben, sprich die Zensur wieder beleben will, wo auch Jacob Grimm ja tätig war. Soweit der Fakt. Ein Problem ist, dass bei der Leiche ein Zitat aus der „Märchensammlung“ gefunden wird. Jacob Grimm, der unter napoleonischer Fremdherrschaft auch als Bibliothekar tätig war, und auch Beziehungen aufgebaut hat, durfte, in der neuen Zeit, seinen Job behalten. Gehaltserhöhungen sind allerdings an ihm vorbei gelaufen. Wer kennt das heute nicht, wenn man keinen Tarifvertrag hat. Aber man liebt ja seine Arbeit und, das darauf folgende Ausbleiben von Dankbarkeit und Anerkennung. Nur, der neue Kurfürst von Hessen hat ganz andere Ideen, als ein, sein neues Volk zu regieren. Von „Gott gesandt“, sind ihm seine Mätressen wichtiger. Wo man dann doch anders denken sollte, und dem adligen Schnösel lieber einen Tritt in den Arsch geben sollte, will und wird man es nicht tun. Noch hat diese adlige Scheiße die Nase oben. Noch hat man die Nachwirkungen der napoleonischen Kriege und der Zeit davor im Nacken, als man hessische Kriegsregimenter, für Geld und gute Worte nach Nordamerika verkauft hatte, den Briten mit menschlichem Kanonenfutter unter die Arme zu greifen. Gegen einen Staatsverbund, der die napoleonischen Ideen versuchte zu verinnerlichen. Was man heute Demokratie nennt und mit der Freiheitsstatue in Big Apple, dem Geschenk Frankreichs an eine neue aufstrebende, freie Macht, auch ausdrucksstark und imposant zu beäugen ist. Tanja Kinkel geht durch die Historie und sammelt alles ein, was die Herren Grimm, bei ihrer Märchensammlung tangieren könnte und schon kommen zwei Frauen ins Spiel, die zwar adlig sind, aber doch keinen wirklichen Standesdünkel an den Tag legen wollen, den bürgerlichen Grimms etwas unter die Arme zu greifen. Auf der Suche nach Märchen, neuen Geschichten, sind Annette und Jenny von Droste zu Hülsdorf den Gebrüdern Grimm mehr als nur eine Gehhilfe. Ohne diese Geschwister wäre wohl viel im Argen geblieben und die „Hausmärchen“ wären heute nicht geschrieben worden. Tanja Kinkel leuchtet, im Nachhinein lesend, weit vorausschauend, wie ein Spiegel- oder Feuerturm, würdig des Archimedes von Syrakus. Ist schon blanker Wahnsinn! Jacob Grimm, unser aller Märchen-Sammler, der sich jedoch die Rolle mit Wilhelm teilen muss, und ohne die Geschwistern Von Droste-Hülsdorf keinen Schritt weitergekommen wäre, hat einen Mordfall am Hals und ein zweiter gesellt sich, nahtlos, dazu. Tanja Kinkel geht mal etwas plündern, in den „Hausmärchen“, den gesammelten Werken der Brüder Grimm. Und haut richtig auf den Putz. Oberwachtmeister Blauberg, Kassels neuestes Polizeioberhaupt, hat ja nicht nur ein Problem. Er will Jacob Grimm hinter Gittern sehen und seine, ihm eigene, Geschichte neu schreiben, der Held sein! Einen Mord aufklären, wo die Grimms und die von Droste-Hülsdorf ihm schon weit voraus sind. Auch wenn dabei andere, Unschuldige, ins Grüne, oder ins Gras beißen sollen, interessiert ihn wenig. Das, genau das nicht der wahre Weg ist, hat er noch nicht begriffen. Tanja Kinkel muss hier noch etwas Überzeugungsarbeit leisten. Der Leser wird es dankbar annehmen. Auch wenn diese Geschichte eigentlich fiktiv ist, hat Tanja doch für Furore gesorgt und ein neues Kapitel eröffnet, was wäre, wenn.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-28101-7 468 Seiten 22,99€ (D) 23,70€ (A)

TANJA KINKEL – Götterdämmerung – Archiv Dezember 2014