BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

CHRISTIAN KRAUS –

Tiefer als der Abgrund

Da sitzt man nichtsahnend am Hamburger Hafen, genießt einen Kaffee, die Meeresbrise und die dauernden Belästigungen durch die Möwen, als sich plötzlich der Blick auf den Horizont verengt und das Hafenbecken merklich kleiner wird. Das wird daran liegen, das Panzerkreuzer „Christian Kraus“, Schlachtschiff der Thrillerklasse, sich zu einem Besuch angesagt hat, jetzt längsseits geht und die Anker wirft. Im Arsenal hat er wieder ein besonderes Buch, dessen Thematik mehr als brisant ist. Eigentlich ist er ein Mediziner, in mehreren Fachgebieten zu Hause und mit mehr Abschlüssen, als so manch andere, die sich gegenwärtig in den Vordergrund drängeln und mit Unwissen glänzen. Nun ja, davon lassen wir uns weder beeindrucken, noch ablenken und konzentrieren uns auf den Autor, dessen Qualifikation beim Schreiben von Romanen recht hilfreich zu sein scheint. Seine Themen sind ja vielfältig. Diesmal beschäftigt er sich mit der Schuld. Wer kennt das nicht. Nur geht es hier nicht darum, das man mal ein schlechtes Gewissen hat, weil man auf der Tankstelle ein Päckchen Kaugummi geklaut oder Mutter angelogen hat, weil das Essen eher suboptimal schmeckte und man die Reste in der Kloschüssel entsorgt hat. Sondern um Abgründe im Leben, neben denen der Marianengraben im Pazifik zu einer Falte im Bettlaken mutiert. Eins muss man dem Schriftsteller lassen, er lässt keine Katzen mehr töten, da war wohl konstruktive Kritik am Werke. Das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen. Nach vielen Jahren wird Elias aus der Haft entlassen, die er verbüßen musste, als Mörder seiner Stiefschwester. Er war damals sechzehn Jahre jung, ist hochintelligent und sensibel, und muss nun jeden Tag damit leben, das er Laura, nach seinem Erwachen in die toten Augen sehen musste, mit der definierten Tatwaffe in der blutverschmierten Hand. Und immer der Zustand Schuld und noch einen drauf. Wäre Elias nicht eine Romanfigur, würde ich darauf tippen, dass er ungeimpft ist. Einzig sein damaliger Anwalt hatte Vorbehalte am Tathergang. Von seiner eigenen Schuld überzeugt, pfeift Elias jedoch den Advokaten zurück und durchlebt eine Hölle, die man als normaler Mensch wohl kaum nach empfinden kann. Und niemand hilft ihm bei einer Aufarbeitung. Noch in Haft bekommt er, auf Betreiben seines Verteidigers, eine Überstellung zu einem Psychologen, Malte Fischer, den er, nach seiner Entlassung weiterhin aufsuchen soll und das auch macht. Hier bekommt er das zweite Mal jemanden in den Dunstkreis, der nicht von seiner Schuld überzeugt ist, die ihn innerlich völlig zerfrisst. Nur diesmal versucht er Hilfe anzunehmen. Sterben kann man allein, aber leben? Allerdings gibt es immer wieder Zeitgenossen, die alles besser wissen, oder das zumindest denken und schon schießt sich die Journaille darauf ein, das ein hochgefährlicher Mörder auf freien Fuß gesetzt wird. Solche, und auch ähnliche, immer auf Wiederholungen basierende, Presserummel kennt man zur Genüge. Polizistin Svensson ist angefressen. Ihr Privatleben bekommt sie nicht wirklich auf eine geordnete Bahn und sie ist obendrein der Meinung, das Ihr Kollege sie anbaggern möchte. Pünktlichkeit ist eine Eigenschaft für alle anderen, ihr scheint sie irgendwie abhanden gekommen zu sein. Die Arbeit muss trotzdem gemacht werden und so werden Freya und ihr Kollege Tom in eine gottverlassene Gegend abkommandiert, wo sie die Lage peilen sollen. Schleuser sind am Werk und wie solche Gestalten vorgehen, wenn Gefahr im Verzug ist, darüber wird ja manchmal berichtet, auch wenn das in den Öffentlichen häufiger im Mülleimer landet. Mehrere Tote säumen den Tatort, und Flüchtige haben diesen gerade verlassen. Darunter ein ehemaliger Zellengenosse von Elias. Eine der flüchtigen Frauen wird kurz danach ermordet, dann aufgefunden und die zuständige Gerichtsmedizinerin macht eine folgenschwere Entdeckung. Die Tat wurde im gleiche Modus Operandi verübt, wie der Mord an Laura. Eine zweite Frau wird vermisst und schwebt in höchster Lebensgefahr. Elias ehemaliger Zellenkamerad ist spurlos verschwunden, wie auch plötzlich Elias. Wie passt das zusammen? Taucht ein in die Tiefen menschlicher Abgründe, welche Friedrich Nietzsche schon treffend charakterisiert hatte.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-30908-7 357 Seiten 11,99€ (D) 12,40€ (A)

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