BUCHCOVERREZENSION
Rehn.h DerHimmelUeberUnserenTraeumen

HEIDI REHN –

Der Himmel über unseren Träumen

Heidi Rehn lüftet ein Geheimnis. Diese Frau ist ja immer für eine Überraschung gut. Warum gewann die deutsche Nationalmannschaft 1954 in Bern das Fußball-Weltmeisterschaftsfinale gegen eine, haushoch überlegene, ungarische Soccer-Truppe? Der, damals krasse, Außenseiter wurde Weltmeister im Rasenballsport und auch das politische und wirtschaftliche Ansehen von Deutschland (West) wuchs wieder. Vera Cohn lief, kurz vorher, mit einem ihrer Jugendfreunde durch die Münchener Residenzstraße und streichelte den dort stehenden Löwenskulpturen die goldenen Nasen und, im Volksglauben, sollte das Glück bringen. Das „Wunder von Bern“ war dann wohl doch eher eine Folge des Kinderglaubens von Vera? Heidi kann hier sehr überzeugend schreiben. Vera hat´s gemacht. Das Fußballwunder und Sepp Herbergers Traum haben Substanz bekommen. Den Ruf „TOR“ hat man ja heute noch im Ohr. Bei den heutigen Rasenkomikern hätte man nicht vier goldene Löwennasen gebraucht, sondern tausende. Dazu hätte man die Straße so ziemlich ausbauen müssen, über die Alpen bis nach Rom. Vor der christlichen Zeitrechnung hätte Hannibal das, wahrscheinlich, den Sieg über Rom gebracht, und die Geschichte wäre anders verlaufen. Heute wäre das wohl eine eher vergebene Liebesmühe gewesen. Richtig tolle Leistung. Hätten wir Fortuna Berlin-Pankow, Rot-Weiß Essen, den VfL Osnabrück und Fortuna Düsseldorf, im Tross mit den „Toten Hosen“ und der Berliner Industriell-Band „OST+Front“, nach Russland geschickt, wären wir, zwar auch nicht wirklich Fußball-Weltmeister, aber zumindest nicht Gruppenletzter, dafür wahrscheinlich jedoch die Weltmeister der Herzen geworden. Wenn ein normaler Arbeiter sein Tagwerk so verrichtet hätte, wie dieser Würfelverein Fußball an das Sonnenlicht gezeigt hat, dann wäre ihm seine fristlose Kündigung garantiert gewesen. Frau Rehn hatte aber andere Pläne, als den Fußball. Bei der Niederschrift ihres Manuskriptes konnte sie auch nicht ahnen, oder doch? , dass diese hochgejubelte Gurkentruppe so versagen wird. Dann doch lieber lesen. Vera Cohn ist die Tochter eines jüdischen Vaters und einer Mutter, die im Milieu des kommunistisch geprägten Arbeiterviertels Berlins-Wedding, großwurde. Noch vor der Machtergreifung der Nazis geboren, geht ihre Kindheit aber genau ins diese Zeit. Jetzt lebt sie, als Kind, in München. Und Adolf H. erklärt die Bayern-Metropole zu seiner zweiten Lieblingsstadt. Veras Großeltern waren zwar ignorant, was gerade diesen braunen Pöbel anging, aber wie die Zeit, nahtlos, sich weiter-, besser gesagt, zurückentwickelte, kann man ja heute ausgiebig beäugen. So geht Familie Cohn ins Exil. Viele Bekannte blieben zurück, auch Opa und Oma. Deren Spuren man in die Vernichtungslager verfolgen konnte, oder auch, bei anderen, sich im Nichts verloren. Frau Rehn hat klare Worte dafür. Für alle Seiten. Nur wenige sind noch da, als Familie Cohn, nach dem Krieg, beschließt zurückzukehren. Die Eltern gehen nach Bonn, wo Papa, als Sozialdemokrat, Abgeordneter des Bundestages wird, Vera zieht es, im Anschluss eines Architekturstudiums, wieder nach München. Noch prangen Kriegslücken im Stadtbild und Wohnungen sind knapp. Vera hat Visionen im Wohnungsbau, die damals abenteuerlich waren, jedoch Alltag werden sollen. Nur, sie ist eine Frau, dazu eine, rückgekehrte, Halbjüdin und auch noch, mütterlicherseits, kommunistisch belastet. Dass kaum einer ihrer Familie den Naziterror überlebt hat, spielt jetzt, 1954, keine Rolle mehr. Im Gegenteil, der „Kalte Krieg“ steht an der Türklingel und die alten Vorurteile wittern wieder Frischluft. Die Seilschaften mit dem „Persilschein“ und die Besatzer, die davon profitieren wollen, kümmert das wohl auch weniger. Die Amis, die entsetzensvolle Bilder aus dem KZ Buchenwald veröffentlichten, machen hier den Rückzieher und den Buckel vor dem Geld. Viele der Alten dürfen weitermachen. Der „Schnelle Heinz“ Guderian wird sogar Berater der „neuen“ Bundeswehr. Obwohl er, damals, immer noch über alle Widerstandsbewegungen gegen das Naziimperium gewettert hatte und seine Kommentare über andere „Kameraden“, die sich dann doch nicht in einer NS-behafteten Propaganda einfangen lassen wollten, alles andere als kameradschaftlich waren. Sich übelredend über Erwin Rommel, der mit seiner „Geisterarmee“, dessen und Generalleutnants von Mansteins „Sichelschnitttaktik“ mehr als aktiv unterstützt hatte, und von den Nazis zum Selbstmord gedrängt wurde, äußerte. Der 20. Juli 1944 war ein Tag, an dem Herr Guderian vergessen hatte nachzudenken. Die Bunderegierung allerdings auch, sonst hätte man den Mann nicht angestellt. Das man einen General Walther Kurt von Seydlitz-Kurzbach heute vergessen will, ist ja in der „neuen“ BRD gang und gäbe. Heinrich, Graf von Einsiedel, sieht das zwar etwas anders, aber seine Meinung wird am Kontext nichts ändern. Verräter am „Deutschen Volk“ sind nicht populär. Dementsprechend hatte Heinrich auch ganz schlechte Karten. Kann man nur hoffen. Heidi Rehn schreibt ein kraftvolles Buch. Wie eingangs erwähnt, sie überrascht immer wieder. Vera will als Architektin arbeiten, bekommt eine Anstellung, lernt Arthur kennen, einen jungen Deutschen, der sie einarbeitet und auch anleitet. Nur der Knabe hat andere Pläne, als in einem verknöcherten Büro seine Zeit abzusitzen. Er will sich, mit seinen Ideen, selbstständig machen. Man kommt sich jedoch näher, wie das Leben so spielt. Arthur ist recht redselig, wenn es um seine Gegenwart geht. Die Vergangenheit anzusprechen meidet er, wie stinkende Socken, vertrocknete Landstriche und andere Katastrophengebiete. Da kann einem schon mal die Hutschnur platzen. Vera Cohn ist eine selbstbewusste Frau und muss sich nicht an der Nase herumführen lassen, wie einen Tanzbären. Obwohl Frau Rehn ja die Wahrheit kennt, überredet sie Vera, den, jetzt selbständigen, Architekten aus der Wohnung zu schmeißen und der hat auch nichts eiligeres zu tun, als zu verschwinden. Naja, war nicht ganz so schnell. Aber Arthur will den Weg des geringsten Widerstandes gehen, seiner eigenen Vergangenheit entfliehen. Nur, das kann man nicht. Glaubt es. Die halbe Wahrheit muss nicht auch gleichzeitig die Hälfte der Wahrheit sein, kann man auch als weniger oder mehr wahrnehmen. Wenn man jedoch für Menschen da sein möchte, sollte man die ganze aussprechen und sich nicht davor fürchten. Der Klügere gibt nach, und die Dummen regieren? Ist leider Alltag heute. Kiekt Euch doch Merkel an. Vor dem NSU-Prozess hat sie so große Töne gespuckt. Versprechen gemacht. Gehalten hat sie kein einziges. Warum auch. Der III. Weltkrieg wurde hier nicht ausgelöst. Trump, ohne Worte. Wenn Ihr Intelligenzbeweise suchen wollt, könnt Ihr auch gleich zu Hause bleiben. Der Hund, der Witterung aufnehmen möchte, findet wahrscheinlich mehr Katzenklos. Die UFOs sind ja nicht auf seinem Mist gewachsen. Nur, ist es doch schön, wenn man die Leute, die man liebt, auch mal zum Abendessen einladen könnte, ohne lügen zu müssen, vor allem, weil man es nicht muss. Wir sind Menschen. Sterben werden wir, ohne jede Frage. Dann doch aber lieber ehrlich. Und bitte keine Politiker am Grab, die irgendwelche Reden schwingen wollen.
(Knaur)

ISBN 978-3- 426 -51938- 7 444 Seiten 10,99€ (D) 11,30€ (A)